Atembeschwerden

Wie haben deutsche Wähler die Pandemie erlebt? Was denken sie über die aktuelle Regierung? Und was erhoffen sie sich von der künftigen? Folge 1 der Serie «Deutschland hat die Wahl».

von Eser Aktay, Anina Ritscher (Text) und Verena Müller (Bild)

Erschienen am 16.08.2021 in der Republik


Das Adrenalin schoss durch Julia Heussers Körper, das Herz schlug der Kranken­pflegerin unter dem dicken Schutz­anzug bis zum Hals, damals im Dezember 2020. Nacht­schicht auf der Corona-Intensiv­station. Überall Patientinnen in Atemnot. Wie am Fliess­band legte sie Katheter, setzte sie Atem­masken auf, schob sie Betten durch den Krankenhaus­flur. Heusser stand ganz vorne, als die zweite Corona-Welle auf das Gesundheits­system prallte.

Etwa zur selben Zeit erreichte Dirk Lederle eine Nachricht: Die Schulen müssen landes­weit schliessen – zum zweiten Mal. Für den Schul­leiter bedeutete das: Eltern informieren, Not­betreuungen organisieren und Fern­unterricht vorbereiten. Schon seit März 2020 mussten Lederle und seine Kolleginnen Tag für Tag die Beschlüsse der Regierung umsetzen und verteidigen: vom Wechsel- über den Hybrid- bis zum Fern­unterricht. Lederle war auf alles vorbereitet.

Dejan Trandafirovic sass im Winter 2020 zu Hause. Filme schauen und spazieren gehen, das war alles, was der 23-Jährige tun konnte. Seinen Ausbildungs­platz hatte er verloren, wegen des fehlenden Einkommens wohnte er wieder bei den Eltern. Trandafirovic, der schon immer ein aktiver und politisch denkender Mensch war, kämpfte mit einer Depression.

Drei Menschen, drei Schicksale, drei Orte in Baden-Württemberg im Winter 2020, als Deutschland zum zweiten Mal in einen bundes­weiten Lockdown ging – er sollte dunkler, länger, kälter werden als der erste.

Jetzt, acht Monate später, stehen die Wahlen des neuen Bundes­tags bevor. Zum ersten Mal seit der Gründung der Bundes­republik ist bereits sicher, dass die neue Kanzlerin nicht mehr die alte sein wird. Angela Merkel tritt ab, nach 16 Jahren im Amt.

Wie blicken Menschen, die unmittelbar von den politischen Entscheidungen während der Pandemie betroffen sind, auf diese Wahl? Wie haben sie die Corona-Politik erlebt? Was wünschen sie sich von der künftigen Regierung?

In der ersten Folge dieser Serie treffen wir den Schul­leiter Dirk Lederle, den Aktivisten Dejan Trandafirovic und die Pflegerin Julia Heusser, die aus Angst vor einer Rüge ihres Arbeit­gebers weder ihren richtigen Namen noch ihren Wohnort in dieser Serie sehen will. Wir wollen von ihnen wissen: Wie haben sich die Corona-Massnahmen auf Sie ausgewirkt? Fühlen Sie sich von der Politik im Stich gelassen?

«Die Politik hat uns schon vor Corona im Stich gelassen»

In Heidelberg läuft Dejan Trandafirovic an einem Nachmittag im Juli auf der Neckar­wiese auf und ab. Der Laut­sprecher muss getestet, ein Tisch bereit­gestellt, die Rede geübt werden. Trandafirovic schiebt sich schnell ein paar Gabeln Gnocchi in den Mund, dann bespricht er letzte Details mit den Rednern. Um 17 Uhr soll die Kundgebung unter dem Motto «Gegen Alkohol­verbot und Ausgangs­sperre auf der Neckar­wiese» losgehen.

Die Neckarwiese ist eine lange grüne Ebene, die sich den Fluss entlang erstreckt. Von hier aus schweift der Blick übers Wasser, über die Stadt und hoch zum Hausberg Königstuhl. Der Park ist der wichtigste Treff­punkt für junge Menschen aus der Stadt und den umliegenden Dörfern.

Jetzt, kurz vor der Kund­gebung, ist es hier friedlich. Junge Menschen sitzen im Gras, trinken, werfen Frisbees. Doch seit Wochen berichten Medien überregional von «Krawallen» und «Ausschreitungen» auf der Neckar­wiese. Insbesondere an den Wochen­enden hatten Jugendliche überdreht. Mal wurde ein Pavillon beschädigt, mal wurden Pyros gezündet.

Die grüne Stadt­regierung sperrte den Park daraufhin kurzerhand – und schickte an den Wochen­enden Polizistinnen in Autos und auf Pferden über die Wiese, um die Feiernden nach Mitter­nacht des Platzes zu verweisen. Ausserdem darf nachts kein Alkohol getrunken werden.

Als dann der grüne Leiter des Dezernats für Kultur und Kreativ­wirtschaft auch noch behauptete, es sei doch klar, dass die Randalierer «zu 99 Prozent Deutsche mit Migrations­hintergrund» seien, platzte Trandafirovic der Kragen. Er wollte etwas tun. Darum versammelt er heute rund 80 Personen zum Protest. Trandafirovic findet: «Jugendliche wurden in der Pandemie vergessen.» Es sei absurd, dass die Heidelberger Innen­stadt, die Kneipen und Cafés abends überlaufen – aber das kosten­günstigere und pandemie­verträglichere Feiern mit Super­markt­bier unter freiem Himmel verboten sei.

Trandafirovic kämpft in mehr als einer Hinsicht um ein Stück Normalität. Anfang 2020 wurde bei ihm eine schwere Depression diagnostiziert. Der Lockdown machte eine Therapie fast unmöglich. Wegen der vielen Krank­schreibungen verlor er seinen Ausbildungs­platz, zurück bei seinen Eltern arbeitete er im Home­office für ein Callcenter.

Die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit diagnostizierter psychischer Erkrankung hat während der Corona-Pandemie in ganz Deutschland zugenommen. Das erlebt auch Dirk Lederle, Leiter der Johanniter­schule in Heiters­heim. Er sitzt in einem dunkel­blauen Fred-Perry-Shirt und beigen Sneakers an seinem Schreib­tisch, die Haare sorgfältig nach hinten gekämmt. Vor seinem Büro­fenster spielen Schul­kinder, werfen sich Bälle zu, tauschen Pausen­brote. Es war ein langer Weg, bis das wieder möglich war.

Für seine Schülerinnen war die Pandemie­zeit eine Zerreiss­probe. Insbesondere was ihre sozialen Fähigkeiten anbelange, seien viele um Jahre zurück­geworfen, sagt Lederle. «Man merkt, wenn man vor einer Klasse steht, dass da Spannungen sind, dass sich die Kinder im sozialen Gefüge der Klasse neu zurecht­finden müssen.»

Lederle ist erschöpft. Zweimal waren die Schulen in ganz Deutschland während Monaten komplett geschlossen: einmal im Frühjahr 2020 und ein zweites Mal im Winter. Seit der bundes­weiten «Notbremse­­regelung», die seit diesem März gilt, müssen Schulen ihren Betrieb anpassen, je nach Inzidenz in ihrem Land­kreis. Das Resultat sind Chaos und Unsicherheit: Die Schul­leitungen müssen sich darauf vorbereiten, jeden Moment vom Präsenz­unterricht zum Wechsel­unterricht zum Fern­unterricht umzuschalten. Im Juli waren die Inzidenzen so niedrig, dass überall Präsenz­unterricht möglich war. Doch niemand weiss, was nach den Sommer­ferien ist. Lederle und seine Kolleginnen sind ausgebrannt. «Wir können nicht mehr», sagt er.

Zugesetzt haben Lederle nicht nur die vielen Planungs­stunden. Er musste auch wahnsinnig viel erklären: Über 400 Mitteilungen hat er an Schüler, Lehrerinnen und Eltern geschrieben, um über die jeweils geltenden Verordnungen zu informieren. «Es gab Eltern, die kreuz und quer denken», sagt er. Ein Eltern­paar tat das laut, und zwar in seinem Büro. Er quäle mit der Masken­pflicht kleine Kinder, warfen sie ihm vor. Daneben stand ihr Sohn, Schüler einer Grundschul­klasse, der inmitten des Streits in Tränen ausbrach. Es folgten Anwalts­schreiben.

In solchen Momenten fühlte sich Lederle alleingelassen, auch vom damals CDU-geführten Kultus­ministerium des Landes, das für die Schulen zuständig ist. Dieses machte im Winter 2021 bundesweit Schlag­­zeilen, als es verkündete, mitten in der zweiten Welle und entgegen den Empfehlungen der Bundes­regierung die Schulen öffnen zu wollen – die Notbremse machte dem Ministerium einen Strich durch diese Rechnung.

In Baden-Württemberg fehlen mehr als 200 Rektorinnen, insbesondere an allgemein­bildenden Schulen wie der von Dirk Lederle. Laut der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) haben Schul­leitungen zu wenig Zeit für Management­aufgaben, ein Problem, das sich in der Pandemie noch mal verschärft habe. Lederle sagt, dass viele Kolleginnen wegen der zusätzlichen Belastung die Leitung abgeben wollen. Er schätzt, dass sich die Anzahl der unbesetzten Schul­leitungs­positionen nach der Pandemie verdoppeln wird. Er will seine Stelle behalten: «Ich habe zu viel und zu hart dafür gearbeitet, um jetzt aufzugeben.» Er lacht. «Und eigentlich macht mir mein Job wahnsinnig Spass, wenn ich mal dazu komme!»

In der Pflege war das Personal schon vor Corona knapp. Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen würden den Job nach wenigen Jahren hinschmeissen, erzählt Julia Heusser. An einem heissen Julitag, sieben Monate nach ihrer ersten Schicht auf der Corona-Intensiv­station, sitzt sie auf dem Balkon ihrer Wohnung zwischen Blumen­kästen und Tomaten­pflanzen. Sie hält ein Holz­spielzeug ihres kleinen Kindes in den Händen, als sie sagt: «Die Politik hat uns schon vor Corona im Stich gelassen.»

Ihrer Meinung nach liegt der Personal­mangel nicht nur an der schlechten Bezahlung, sondern vor allem an den Bedingungen: immer mehr Patientinnen pro Pflege­kraft, grössere Verantwortung, immenser Druck. Kranken­haus nach Kranken­haus wird privatisiert, und seit Jahren folgt im Gesundheits­sektor Spar­runde auf Spar­runde. Letztes Jahr fand sich für über 2000 Pflege­stellen in Baden-Württemberg kein qualifiziertes Personal. Und es wird schlimmer: Das Statistische Landesamt geht davon aus, dass die Anzahl der Pflege­bedürftigen im von CDU und Grünen in einer Koalition regierten Bundes­land bis 2050 um 93 Prozent steigen wird.

Heusser arbeitet eigentlich als Fachpflege­kraft auf einer Spezial­station. Sie liebt ihren Job, ist engagiert, bleibt auch mal länger. Sie ist eine von denen, die den Laden zusammen­halten. Wo es einen Personal­mangel gibt, wird mit Leuten aus dem Ausland aufgestockt. Diese sind zwar gut ausgebildet, verstehen aber oft nicht einwand­frei Deutsch. Deswegen berät Heusser sie in ihrem Arbeits­alltag, kontrolliert ihre Medikamenten­listen, steht für Fragen zur Verfügung. So wird ihr Tag noch voller, der Druck noch höher.

Ab und an, wenn sie noch Energie hat, setzt sie sich nach ihrer Schicht zu einem Patienten ans Bett. Aber sie hat nicht für alle Zeit.

Corona brachte die Pflege­kräfte überall an den Anschlag. Während der zweiten Pandemie­welle wechselte Heusser für drei Monate von ihrer Abteilung auf die Corona-Intensiv­station, um ihre Kolleginnen dort zu unterstützen. «Meine Chefin sagte mir am Telefon, dass ich auf die Corona-Station muss. Ich legte den Hörer auf und begann zu weinen.» Sie wollte nicht wechseln, gegen den Entscheid der Krankenhaus­leitung wehrte sie sich aber vergeblich.

«Nach den ersten fünf Minuten auf der Corona-Station habe ich gedacht: Ich kann das nicht! Ich pack das nicht! Ich will hier weg!», erzählt die Pflegerin. Doch sie blieb. Obwohl damals die Existenz ihrer Familie am Auseinander­fallen war. «Ich weiss heute nicht, wie ich das alles geschafft habe», sagt sie.

«Der Frust hat sich aufgestaut»

Auf der Kund­gebung in Heidelberg ist jetzt Dejan Trandafirovic an der Reihe mit seiner Rede: «Wir sind die Generation Krise», sagt er. Er zählt auf, was seine Generation schon alles miterleben musste: Euro­krise, Ukraine­krieg, Bürger­krieg in Syrien, Klima­krise. «Wir als Generation sind jetzt schon müde.» Er fordert die Zuhörerinnen dazu auf, sich nicht nur gegen das Aufenthalts­­verbot auf der Neckar­wiese zu wehren, sondern auch gegen Umwelt­zerstörung und soziale Ungerechtigkeit.

Seit er denken kann, ist Trandafirovic politisch aktiv. Die Pandemie­politik in Deutschland macht ihn wütend: «Die Regierung hat die Wirtschaft über das Wohl­ergehen von Menschen gestellt. Sie ist dafür verantwortlich, dass 90’000 Menschen starben.» Ihn wundert, dass nicht viel mehr Leute ob dieser Politik durch­gedreht sind. Von den «Quer­denkern» ist er weit entfernt, er protestierte sogar gegen deren Aufmärsche. Er findet aber, insbesondere junge Menschen seien vergessen gegangen: «Jugendliche haben aus Solidarität das Ganze monate­lang mitgetragen. Doch auch die merken, dass auf ihre Bedürfnisse jetzt nicht eingegangen wird.» Das Resultat sehe man auf der Neckar­wiese: «Der Frust hat sich aufgestaut.»

Nicht nur in Heidelberg. Auch in München, in Stuttgart, in Augsburg und in Hamburg gab es Ausschreitungen von Jugendlichen.

Trandafirovic berät seine Mutter in Fragen des Arbeitnehmer­rechts. Als Jugendlicher ging er gegen Nazis auf die Strasse. Heute organisiert er die Protest­kundgebung auf der Neckar­wiese. Wählen darf er aber nicht. Er hat keinen deutschen Pass. Damit ist er nicht allein: In Deutschland leben ungefähr 8 Millionen Erwachsene, die die Zukunft des Landes nicht per Wahl­zettel mitgestalten dürfen.

Als er ein Jahr alt war, hatten Trandafirovics Eltern die Wahl: Soll er den deutschen Pass bekommen – oder den serbischen behalten? «Mein Vater sagte: Mein Sohn wird kein Deutscher.» Zu dieser Zeit, 1999, flogen gerade deutsche Kriegs­flugzeuge über Serbien. Und so ist Trandafirovic bis heute Serbe geblieben, obwohl er in Ulm geboren und in der Nähe von Karlsruhe aufgewachsen ist.

Nach der Kundgebung gibt Trandafirovic ein Fernseh­interview und spricht mit zwei Anwohnern der Neckar­wiese. Dann geht er weiter zur nächsten Demo. Es geht um Polizei­präsenz in der Innenstadt.

Wie es in ihrer Innen­stadt ausschaut, hat Julia Heusser in den letzten Monaten selten mitbekommen. Während sie im Kranken­haus schuftete, kämpft ihr Mann darum, seinen kleinen Gastro­betrieb am Laufen zu halten. «Unser Lokal war unser erstes Kind», sie lacht kurz, verdrückt eine Träne.

Wie viele andere Gastronomen musste ihr Mann das Lokal in der ersten Corona-Welle 2020 vorüber­gehend schliessen. Er blieb mit dem Kind zu Hause. Sie stockte die Stunden im Kranken­haus auf, um die fehlenden Einnahmen auszugleichen. Im Sommer konnte das Lokal kurz öffnen, nur um im Herbst wieder schliessen zu müssen.

«Wie lange wird es so weitergehen?», fragten sich die Heussers. Sie baten den Vermieter, ihnen mit der Miete für die Räumlichkeiten entgegen­zukommen. Er lehnte ab. Irgend­wann hielten sie den Schwebe­zustand nicht mehr aus und beschlossen, das Lokal aufzugeben. «Ich habe öfters geheult im Laden, beim Packen, beim Raustragen der Kaffee­maschine», sagt Heusser. Sie seufzt. Das Vintage­radio aus dem Laden steht jetzt in der Wohn­küche, ein paar Kaffee­röster auf einem Küchen­schrank über dem Herd.

Auch Dirk Lederles Privat­leben litt während der Pandemie. Er konnte kaum für seine Kinder da sein. «Sie hätten mich gern mehr gehabt», sagt er. «Sie haben darunter gelitten, wenig Papa und wenn Papa, dann …» Lederle stockt. Seine Schultern hängen, er hebt beide Arme in die Luft, lässt sie fallen. Dann wirft er einen kurzen Blick aus dem Fenster. Für einen Moment wirkt der gross gewachsene Mann klein auf dem Stuhl vor dem weissen Schreibtisch.

«Oft bleibt dann doch alles gleich»

Von der Bundestags­wahl erhofft sich Lederle künftig einen stärkeren Fokus auf das Thema Ökologie. Seit März fährt er einen E-Wagen. Er findet aber, dass Annalena Baerbock als erste Kanzler­kandidatin der Grünen ein zu hohes Tempo anschlägt. «Die Corona-Situation, die Post-Corona-Situation und die ökologische Revolution gleichzeitig anzuzetteln, das ist ein bisschen viel auf einmal.»

Ausserdem sei die 40-Jährige zu jung. Es brauche zwar Menschen in der Politik, die Gas geben, in die Zukunft weisen. Aber es brauche eben immer auch jene, die Ruhe bewahren, sagt Lederle und macht eine besänftigende Hand­bewegung. Daher sei er für die Verbindung von progressiven und konservativen Kräften, wie es die grün-schwarze Regierung in Baden-Württemberg vormache.

Dirk Lederle ist alles in allem zufrieden mit der Art und Weise, wie die Regierung die Pandemie bisher meisterte. «Die Situation war für uns alle neu.» Die Bundes­regierung habe immerhin das Gefühl vermittelt, dass es weitergehe. Auf Lederles Schreib­tisch steht eine «original Merkel-Glocke», wie er stolz erzählt. Mit dieser Glocke kann die Kanzlerin ihr Kabinett zur Ordnung rufen. Sie ist ein Geschenk eines Kollegen aus Berlin. Wen er wählen wird, möchte Lederle nicht sagen. So viel aber verrät er: «Meine Ehefrau ist CDU-Mitglied.»

Dürfte Trandafirovic wählen, würde er einen leeren Wahlzettel abgeben: «Von der Wahl fernbleiben fände ich schwierig, weil es wichtig ist, den Prozess zu legitimieren. Aber ich könnte ohne grosse Kompromisse keine Partei wählen und mich damit wohlfühlen.» Für die Anliegen junger Menschen setzt sich seiner Ansicht nach aber vor allem die Links­partei ein.

Das Aufenthalts­verbot auf der Neckar­wiese wurde mittler­weile aufgehoben. Trandafirovic bleibt aber politisch aktiv: Etwa in der Kampagne «Zero Covid», die sich für einen solidarischen Shutdown einsetzt, mit dem Ziel, die Infektions­zahlen auf null zu bringen.

Julia Heusser weiss noch nicht, wen sie am 26. September wählen will, aber «auf gar keinen Fall die CDU, die AfD oder die FDP. Grosse Hoffnungen macht sie sich nicht mehr. In der ersten Corona-Welle, als es noch Beifall von Balkonen gab, hatte sie kurz gedacht, dass sich jetzt wirklich etwas verändern würde. Doch es passierte nichts. Ansätze, die ihre Situation verbessern könnten, sieht sie bei der SPD, den Grünen oder den Linken: «Die sagen, dass sich etwas in der Pflege ändern muss, aber oft bleibt dann doch alles gleich.»

Unten im Garten spielt Heussers Mann mit dem Kind. Er hat heute eine Stelle im Super­markt. Heusser selbst arbeitet nicht mehr auf der Corona-Station, zumindest vorerst. Sie ist sich sicher: «Unser Lokal war der Preis dafür, dass damals überhaupt irgendwas funktioniert hat.» Ob sie einen neuen Gastro­betrieb aufmachen wollen, wissen sie noch nicht. Ein paar Dinge, die im Lokal waren, haben sie in einen Karton gepackt und im Schuppen verstaut.

Sie nennen sie «die Kiste der Hoffnung».