Kandaka - Women of the Sudanese Revolution
Drei Jahrzehnte lang war Omar al-Baschir Staatspräsident des Sudan und herrschte mit diktatorischer Gewalt. 2019 ging das sudanesische Volk friedlich auf die Straße und forderte seinen Rücktritt - etwa die Hälfte davon waren Frauen.
Helena Lea Manhartsberger
ausgestellt am LUMIX Festival für jungen Bildjournalismus 2020
Drei Jahrzehnte lang war Omar al-Baschir Staatspräsident des Sudan und herrschte mit diktatorischer Gewalt. 2019 ging das sudanesische Volk friedlich auf die Straße und forderte seinen Rücktritt. Sicherheitskräfte beendeten den Protest mit einem Massaker: 128 Menschen wurden am 3. Juni 2019 getötet und über 70 Opfer sexualisierter Gewalt. Mittlerweile hat sich eine Übergangsregierung aus zivilen und militärischen Vertreter*innen gebildet, doch der Kampf geht weiter. Etwa die Hälfte der Aktivist*innen ist weiblich und kämpft für Demokratie und Freiheit, sowie Gleichberechtigung in einem Land, in dem Frauen dafür geprügelt wurden, Hosen zu tragen.
Helena Lea Manhartsberger erzählt die Geschichten von fünf Frauen unterschiedlicher Generationen und Herkunft, die an der sudanesischen Revolution teilgenommen haben. Sie zeigt Objekte und Orte, die für die Protagonistinnen von besonderer Bedeutung sind, und schafft ein Jahr nach Beginn des Aufstands ein Bild von Unterdrückung und Befreiung, Frustration und Hoffnung.
"Am Morgen nach dem Massaker sah ich auf Twitter ein Bild meines Freundes Kesha. Die Nachrichten zeigten ihn und andere Märtyrer. Jemand postete ein Foto von seiner Leiche, ich war schockiert und dachte, alle meine Freunde wären tot. Ich sah Videos von Menschen, die erschossen wurden - überall Blut. Die Straßen waren blockiert, die Menschen schrien. Am nächsten Tag sollten eine Million Ballons für die Märtyrer steigen gelassen werden, die während der Revolution starben. Ich kaufte Luftballons, fing an, sie aufzublasen und schrieb die Namen der Märtyrer darauf. Ich habe mein Zimmer wochenlang nicht verlassen, nur die Ballons leisteten mir Gesellschaft."
Iman Osama trug bei Demonstrationen ihren Schal und einen Mundschutz. Sie erzählt: "Während der Kundgebungen trugen die Menschen meist blasse Farben, da der National Intelligence Service (NISS) Menschen mit kräftigen Farben entdeckte und sie jagte. Während eines Nachbarschaftsprotests erwischte mich der NISS, nachdemsie uns mit Tränengas angegriffen hatten. Das erste, was sie taten, war, mich hart zu schlagen und mich in ihren Lastwagen zu drängen. Dann fingen sie an, mich verbal anzugreifen und zu belästigen. Sie zwangen mich immer wieder, Dinge zu sagen wie: "Ich will, dass das Regime bleibt" und "al-Bashir ist mein Vater". Ich habe mich geweigert. Einer von ihnen nahm meinen Schal, wickelte ihn um mein ganzes Gesicht und meinen Hals und versuchte mich zu ersticken, bis ein anderer sagte, er solle von mir ablassen. Sie schlugen mich und ließen sie mich dann irgendwo in Bahri zurück."
Iman trägt immer diese Halskette: "Ich kann mich nicht erinnern, woher ich diese Halskette bekam, aber ich glaube, jemand hat sie mir während der Sitzstreiks gegeben. Es fühlt sich an, als hätte ich diese Halskette schon seit Ewigkeiten. Ich hielt sie fest, als ich im Sitzstreik Angst vor den Schüssen hatte, als ich weinte, als ich mich allein fühlte. Ich hielt sie, als ich eine Mutter mit ihren Kindern sah und ihnen sagte, dass dies der sicherste Ort der Welt sei und dass alle Menschen um uns herum - Armee oder Demonstranten - uns beschützen. Ich hielt sie, als der Sitzstreik aufgelöst wurde, als Menschen starben. Ich hielt sie, als ich lachte, als ich weinte, als ich wütend war, als ich Angst hatte, als ich verzweifelt war, als ich kämpfte und als ich mich ergab."
"Mein Antrieb in dieser Revolution zu kämpfen, war nicht die Hoffnung. Ich hatte das Bedürfnis, die Schuld meiner Eltern zu sühnen. Auch sie sind dafür verantwortlich, dass dieses Regime so stark geworden ist. Mein Vater war Soldat in der Armee von al-Bashir. Er tötete Menschen im Krieg im Südsudan und starb dort als Märtyrer für das alte Regime." Iman Osama lässt fast jeden Monat Luftballons für die Märtyrer der Revolution steigen. Nach dem Massaker vom 3. Juni hat sie Hunderte von Bildern und Briefen fliegen lassen.
"Ich erinnere mich an eine der Frauenkundgebungen, während des Ramadan in Khartum. Wir waren Hunderte von Menschen aus verschiedenen Frauengruppen, die gemeinsam auf der Straße für unsere Forderungen an die neue Regierung protestierten. Am Ende eines langen Marsches fing es an zu regnen, aber wir gingen weiter in Richtung des Sitzstreik-Bereichs. Als wir in die Zelte kamen, begannen die Revolutionäre zu skandieren: "Selbst wenn es regnet, werden wir bleiben!" All diese Menschen waren so voller Leben und Energie - sie sangen, schrieen, hießen uns willkommen. Ich hatte das Gefühl, dass der Sitzstreik-Bereich niemals besiegt werden könnte. In diesem Moment schwanden all meine Befürchtungen, die Entschlossenheit der Revolutionäre war so stark. Doch es war schmerzhaft, aber wahr: Die Naturgewalten konnten den Jungs nichts anhaben, schlechte Polizisten dagegen schon."
"Im Dezember 2018 ging ich zusammen mit 21 weiblichen Anführerinnen in den Präsidentenpalast und forderte al-Bashir zum Rücktritt auf. Wir wurden alle verhaftet. Obwohl wir viel besser behandelt wurden als gewöhnliche Kriminelle, war es eine harte Zeit. Wir waren zu zehnt in einer 25 Quadratmeter großen Zelle. Fledermäuse hingen von der Decke und Seife zu bekommen, war ein Kampf. Wir wussten nicht, wie lange sie uns gefangen halten würden, also nutzen wir die Zeit und suchten Wege, um mit der langen Haft fertig zu werden. Dr. Rahiba, eine Psychiaterin, hat mit uns eine Gruppentherapie gemacht. Wir haben Spiele und Schmuck aus Müll gebastelt und sogar ein Sportteam gegründet, um in Form zu bleiben. 75 Tage lang wurden wir festgehalten und ironischerweise am Weltfrauentag freigelassen. Als sie uns sagten, dass wir frei wären, versuchte jede, ein Andenken mitzunehmen. Ich nahm mir diesen Kamm. Diesen Kamm nutzten wir alle, er war wie ein Schatz."
Nagda Mansour, 39, ist Menschenrechtsaktivistin und Übersetzerin in der Nationalversammlung. Sie wurde in Khartum geboren und wuchs dort auf, aber ihre Familie stammt ursprünglich aus dem durch den Krieg zerstörten Darfur. Zusammen mit anderen weiblichen Führungskräften wurde sie im Dezember letzten Jahres für 75 Tage inhaftiert. Nachdem sie am 8. März, dem Weltfrauentag, freigelassen worden waren, nahmen sie am Sitzstreik in Khartum und verschiedenen Massendemonstrationen teil. Das Bild zeigt den Palast der Jugend und Kultur gegenüber des Sitzes der Nationalversammlung des Sudans in Omdurman, von wo aus Scharfschützen am 30. Juni 2019 auf Demonstranten schossen. Mindestens 8 Menschen starben, mehr als 50 wurden verletzt.
Nagda Mansour stellt eine Situation nach, in der sie während einer Demonstration fliehen musste: "Am 30. Juni 2019 nahm ich in Omdurman an einer Kundgebung gegen das Massaker teil, das sich am 3. Juni ereignete. Ich war zwischen dem Gebäude der Nationalversammlung, wo ich als Übersetzerin arbeitete, und dem Kinder- und Jugendpalast, als Scharfschützen zu schießen begannen. Ich wurde fast getroffen, konnte aber zum Glück durch ein Loch im Zaun entkommen. Zusammen mit einigen anderen Frauen liefen wir zum nächsten Gebäude, das ein Krankenhaus war. Wir fanden dort ein Versteck und hörten, wie Menschen draußen vom Militär erschossen und verprügelt wurden. Wir waren uns sicher, dass sie uns erwischen, uns schlagen und vergewaltigen würden, aber wir hatten Glück, sie fanden uns nicht."
"Mein Sohn Mohammed Ibrahim wurde am 13. Mai 2019 in Khartum erschossen, als er versuchte, die Barrikaden am Sit-In zu schützen. Ich vermisse ihn so sehr und beschloss, auch zum Protestcamp zu gehen, an den Ort, den er mit seinem Leben verteidigte. Ich bekam dort ein Zelt. Es wurde der einzige Ort, wo ich mich wohl fühlte und wo ich spürte, dass er bei mir war. Es gab eine große offene Bühne. Ich bat um das Wort, weil ich so wütend und traurig war. Ich wollte mit den anderen Demonstranten sprechen, aber auch mit den Mördern meines Sohnes. Als ich das erste Mal auf die Bühne ging, war ich sehr nervös vor Tausenden von Leuten zu sprechen, aber die Menge unterstützte mich. Endlich konnte ich meine ganze Wut und Trauer rauslassen. Das gab mir so viel Energie - ich konnte wieder frei atmen. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht allein bin, dass viele Menschen an meiner Seite sind."
Am 13. Mai wurde Mohammed Ibrahim gegen 19 Uhr von Sicherheitskräften zweimal in den Kopf und einmal in die Brust geschossen, als er die Barrikaden des Sitzstreiks in der Nile Street in Khartum beschützte. Das Bild zeigt den Ort, an dem die Barrikaden aufgebaut waren und Mohammed getötet wurde.
Umhani zeigt einen Topf, den sie mit zu den Protesten nahm: "Als ich zu den Protesten ging, nahm ich Wasser, Tee und Essen für die Demonstranten mit. Das war meine Art, sie zu unterstützen. Diese Revolution ist noch nicht zu Ende, unsere Forderungen werden immer noch nicht erfüllt. Wir wollen Gerechtigkeit für das Blut unserer Söhne. Ich wünsche mir einen sicheren Sudan, in dem jeder in Frieden und Gleichheit leben kann. Ich möchte den Menschen außerhalb des Sudans sagen, dass wir ihre Unterstützung brauchen, nicht materielle Hilfe, wir brauchen Solidarität von der ganzen Welt, damit diese Revolution erfolgreich ist."
Eine Wandmalerei an Umhanis Haus: Freunde von Mohammed Ibrahim haben sein Porträt an die Außenwand gemalt.
Wala Fadul, 25, posiert mit ihrer Flagge, die sie immer mitnahm, wenn sie demonstrierte. Die Flagge ist ein Geschenk einer Freundin und wurde ein wichtiges Objekt für sie: "Vor der Revolution hasste ich diese Flagge, weil ich das alte Regime hasste. Als wir al-Bashir gestürzt haben, begann ich, sie zu mögen. Die Flagge ist heute ein Symbol des Sieges für mich, sie bedeutet, dass ich mein Land zurückhabe." Wala lebt mit ihren Eltern in Al Amarat, einem vornehmen Viertel in Khartum. Sie studierte Management Information System und arbeitet als Administratorin in der Personalabteilung der Bank of Khartum. Sie plant, ihren Masterabschluss in Deutschland oder Großbritannien zu machen. Wala engagiert sich ehrenamtlich in verschiedenen Frauenrechtsorganisationen und Fraueninitiativen. Als die Sitzstreiks beendet wurden, war sie gerade für ein Praktikum nach Deutschland gekommen.
"Im Januar ging ich mit meinen Freundinnen Azza und Hidaya zu einer Demonstration in Omdurman. Die Sicherheitskräfte waren sehr aggressiv und verhafteten viele Menschen an diesem Tag. Wir flohen in ein Haus, in dem uns Menschen versteckten. Nach Stunden beschlossen wir, zu gehen und eine Rikscha zu unserem Auto zu nehmen. Der Fahrer stellte uns viele Fragen zu den Protesten. Wir sagten ihm, dass wir gerade vom Friseur kämen, um später auf eine Hochzeit zu gehen. Er glaubte uns und fuhr uns zu unserem Auto, wo wir Agenten des National Intelligence Service (NISS) trafen. Sie fragten uns aus, und wir waren sicher, dass sie uns verhaften und schlagen würden, oder noch schlimmer. Aber dann verteidigte uns der Fahrer und erzählte ihnen die Hochzeitsgeschichte. Wir hatten so viel Glück, dass wir so gut angezogen waren. Ich bin stolz, dass wir die Agenten überzeugen konnten. Normalerweise verhaften sie jeden, wenn es den geringsten Zweifel gibt. Aber wir haben sie ausgetrickst, wir haben gewonnen."
"Nach den ersten Wochen des Sitzstreiks begannen einige Männer, Frauen verbal und körperlich zu belästigen. Einige provozierten: "Kandaka, wie ist deine Nummer?" Kandaka waren die alten nubischen Kriegerköniginnen, sie symbolisierten starke Kämpferinnen. Diese Männer missbrauchten unseren Terminus. Wir begannen eine Kampagne gegen sexuelle Belästigung im Sitzstreik-Bereich zu organisieren. Wir hingen Plakate auf, um die Menschen mit dem Thema zu konfrontieren. Vor dem Militärhauptquartier versammelten sich viele junge Männer um uns. Sie sagten, dass wir nicht belästigt würden, wenn wir wir unsere Haare bedeckten. Es war bedrohlich. Es gab aber auch Männer, die tatsächlich anfingen, das Thema zu reflektieren. Deshalb denke ich, dass unsere Kampagne erfolgreich war."
Wala zeigt, wie sie sich während der Proteste kleidete. Normalerweise bedeckt sie nie ihren Kopf, sie benutzte den Schal nur gegen das Tränengas und um sich zu maskieren. "Das Einzige, was sich für mich als Frau seit der Revolution tatsächlich verändert hat, ist, dass ich keine Angst mehr davor habe, von der Polizei festgenommen zu werden, weil ich eine Hose trage. Aber ich fühle mich nicht vor Belästigungen geschützt. Die patriarchalische Struktur ist immer noch in den Köpfen vieler Männer. Wir brauchen mehr Aufklärung über die Rechte der Frauen; wir müssen das Bewusstsein für künftige Generationen schärfen. Es ist zu spät für meine Generation; sie alle sind mit dieser Misogynie aufgewachsen. Die neue Regierung sollte mehr Gesetze zum Schutz von Frauen erlassen. Belästigung und Missbrauch gibt es überall – in Schulen, Universitäten, bei der Arbeit, im öffentlichen Raum, und das System schützt die Täter. Das sollte nicht mehr akzeptiert werden, wir brauchen ein faires Rechtssystem! Ich möchte frei auf die Straße gehen können, ohne Angst vor Belästigungen zu haben."
"Seit 1992 verkaufe ich Tee und Zalabia, süße Teigtaschen, vor der nigerianischen Botschaft. Der Moment, in dem ich beschloss, gegen dieses Regime vorzugehen, war, als sich der Mehlpreis mehr als verdoppelte. Viele meiner Kunden sind Studenten, sie haben nicht viel Geld und ich konnte nicht einfach den Preis verdoppeln. Tee-Lady zu sein, bedeutet, revolutionär zu sein, denn Frauen, die auf der Straße arbeiten, sind nicht willkommen. Wir werden regelmäßig von der Polizei belästigt und vertrieben. Aber sie können uns alle Sachen abnehmen oder uns Geldstrafen zahlen lassen, wir kommen immer wieder. Vor drei Jahren gab es viele Razzien gegen Straßenverkäufer. Wir protestierten gegen die Art und Weise, wie wir behandelt wurden, und einige Frauen setzten sogar Polizeiautos in Brand. Eine Mitarbeiterin des Ordnungsamts machte es zu ihrer persönlichen Mission, die Straßen zu "säubern". Ihrer Meinung nach verschmutzen Teeverkäufer das Bild der Stadt. Eigentlich ist es das Gegenteil, denn wir kümmern uns um den Ort, an dem wir arbeiten."
"Ich ging zu den Sitzstreiks, um die Revolution zu unterstützen. Ich half sogar, Menschen zu kontrollieren, die über die Barrikaden in das Lager kamen, um sicherzustellen, dass niemand gefährliche Gegenstände hereinbringt. Ich konnte nicht glauben, dass so viele Leute loszogen, um zu protestieren. Ich mochte die Atmosphäre, es gab keine einzige hungrige oder durstige Seele. Während des Ramadans bereitete ich Zalabia und Tee für das Fastenbrechen nach Sonnenuntergang vor und verteilte alles an die Menschen. Ich habe die Teekannen nie zurückbekommen, aber das ist mir egal. Ich habe Menschen während der Revolution verloren – wen interessieren die Teekannen? Am 2. Juni baten mich Freunde, zum Sitzstreik zu kommen, aber ich musste zuhause arbeiten. Sie versuchten wirklich, mich zu überzeugen, aber ich sagte, ich würde an einem anderen Tag kommen. Am nächsten Morgen riefen sie mich an und erzählten mir vom Massaker. Ich konnte es nicht glauben. Die Hausarbeit hatte mich gerettet."
Hiliwah zeigt, wie sie ihre Tobe, die traditionelle Kleidung der Frauen, benutzte, um sich während der Proteste vor dem Tränengas zu schützen. "In dieser Revolution hatten Frauen eine sehr wichtige Rolle. Sie kämpften und opferten sich, um dieses Land zu befreien. Die meisten Demonstranten waren Frauen, viele von ihnen Hausfrauen. Vor nicht allzu langer Zeit diskutierte ich in einem Bus mit einem Mann über die öffentlichen Transportmittel. Er fragte mich: "Du hast diese Revolution unterstützt. Warum geht ihr nicht für einen besseren Transport auf die Straße?" Ich antwortete: "Nachdem wir all dies getan haben, während wir unsere Kiner großgezogen und die Hausarbeit erledigt haben, seid er nun an der Reihe, uns zu unterstützen." Er hielt an seiner Idee fest, dass die Frauen neue Proteste organisieren sollten. Das ist frustrierend."