In welchem globalen Kontext bewegt sich die Klimapolitik, die in Österreich gerade ausverhandelt wird? Die entscheidendsten Impulse kommen 2020 aus China
Alicia Prager
erschienen am 17.12.2020, Der Falter
“Let it be, let it be… “, singt ein älterer Gitarrenspieler mit langen weißen Haaren und einem karierten Tuch, das er sich um den Kopf gebunden hat. Um ihn herum hat sich eine kleine Traube an Konferenzbesuchern zusammengeschart.
Ansonsten ist Ruhe eingekehrt in den Messehallen, in denen Politiker und Diplomaten aus aller Welt in den ersten beiden Dezemberwochen versuchten, sich auf nächste Schritte im Kampf gegen die Klimakrise zu einigen.
Eine Halle weiter tragen zwei Männer in Anzügen einen großen Schriftzug aus Pappkarton davon. “NOW” steht da, Jetzt. Doch so sehr auf schnelle Entschlüsse gedrängt wurde, auf viel konnten sich die Staaten nicht einigen.
Die große UN-Klimakonferenz in Madrid, die COP25. Sie war der klimapolitische Schlussakt des Jahres 2019 – jenem Jahr, in dem Teenager überall auf der Welt den Kampf gegen die Klimakrise ganz hinauf auf die politische Agenda katapultiert haben. Doch so bedeutend das für die Mobilisierung auch war, die wirklich bedeutenden Entscheidungen stehen jetzt an: Im klimapolitischen Mega-Jahr 2020 wird sich zeigen, ob der politische Wille groß genug ist, Versprechungen umzusetzen und nachzulegen.
“2019 ging es um gemeinsame Willenserklärungen. Jetzt, 2020, müssen alle Länder einzeln ihre Hausaufgaben erledigen”, erklärt Laurence Tubiana auf einer Pressekonferenz in Madrid. Sie ist CEO der European Climate Foundation und gilt als eine der Architektinnen des Pariser Klimaabkommens. Das Ergebnis der Verhandlungen im Dezember sei “weit entfernt von dem was aus wissenschaftlicher Sicht nötig wäre. Die großen Akteure, die in Madrid liefern mussten, haben die Erwartungen nicht erfüllt”, kritisiert sie.
Denn selbst wenn alle Staaten ihre aktuellen Ankündigungen erfüllen, bewegt sich die Erderhitzung auf 3 Grad im Vergleich zur Durchschnittstemperatur vor der Industrialisierung zu – mit fatalen Konsequenzen. Um das 2-Grad-Maximum des Pariser Abkommens noch erreichen zu können, sollen alle Vertragsparteien ihre national festgelegten Beiträge (NDCs im UN-Jargon) erhöhen. Bis zur nächsten COP in Glasgow im November soll die große Kurskorrektur gelingen.
Europas “Green New Deal”
Ein Anstoß dazu kommt aus Brüssel: Die neue Kommission von Ursula von der Leyen hat im Dezember ihren “Green New Deal” präsentiert. Das alte Wachstumsmodell auf der Basis von fossilen Brennstoffen und Verschmutzung sei überholt, es sei Zeit für eine “Strategie für ein Wachstum, das mehr gibt als wegnimmt”, so die Kommissionschefin.
Die Staats- und Regierungschefs legten gleich nach und einigten sich in derselben Woche auf das gemeinsame Ziel bis 2050 die Klimaneutralität zu erreichen.
Details dazu, was das alles genau heißen wird, folgen in den kommenden Monaten – etwa kündigt die EU-Kommission an, im März Europas erstes Klimagesetz vorzuschlagen, in dem die Klimaneutralität gesetzlich verankert wird.
Diese Vorschläge werden dann „hoffentlich rasch“ im EU-Parlament und im Rat der EU diskutiert und verbindlich gemacht, heißt es dazu von Jürgen Schneider, Sektionschef Klima im Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus. Das Ziel der Klimaneutralität unterstütze Österreich aktiv, die Europäische Union habe in für Klimaschutz nicht einfachen Tagen Leadership gezeigt, sagt er. Nun warte man auf eine Analyse der EU-Kommission, was die Klimaneutralität für Österreich bedeute. Jedenfalls wolle man verhindern, dass in der Energiewende auf Kernkraft gesetzt werde. „Wir wollen die Chancen der Energiewende aktiv nutzen, dabei aber explizit nicht auf die Nutzung der Kernkraft setzen, da diese unsicher, teuer und nicht nachhaltig ist“, spricht er ein Thema an, das im nächsten Jahr in der EU intensiv debattiert werden dürften.
Der Grüne Parlamentsclub wünscht sich unterdessen um einiges ambitioniertere Ansagen, als die EU-Kommission im Green New Deal vorgelegt hat. Etwa müsse die EU bereits bis zum Jahr 2040 – statt 2050 – klimaneutral werden und der Haushalt der Union solle an die Pariser Klimaziele gebunden werden. Aus der ÖVP hieß es bis zu Redaktionsschluss, man gebe keine Stellungnahme zum Kommissions-Vorschlag zum Green New Deal ab.
Zurück aufs Parkett der internationalen Klimadiplomatie: Die Ziele der EU seien auch weit über die Grenzen Europas hinaus wichtig, hieß es etwa in den Messehallen der UN-Konferenz. Man müsse mit gutem Beispiel vorangehen, andere Staaten im Fahrwasser mitnehmen.
Denn weit wichtiger als die 2020 bevorstehenden Entscheidungen der EU scheint, was sich einstweilen in China abspielt, dem weltweit größten Emittenten. Im kommenden Jahr wird dort der neue Fünfjahresplan zur Planung der Volkswirtschaft festgelegt, aus dem herauszulesen sein wird, in welche Richtung der Wirtschaftsriese steuern will. Ohne China kein Erfolg im Kampf gegen den Klimawandel, soviel steht fest.
Das gilt umso mehr, seit sich die USA unter Donald Trump aus der Klimadiplomatie zurückgezogen haben und bis zur Wahl im November nicht klar sein wird, wer das höchste US-Amt in den kommenden Jahren bekleiden wird. Wird China den Platz im Rampenlicht nutzen, um seine geopolitische Macht weiter auszubauen – sich als grünes Gegengewicht zu den USA profilieren? Diese Frage wird auch das angelaufene Jahr klimapolitisch prägen. Derzeit sendet Peking aber sehr widersprüchliche Signale. Mal eines in Richtung Vorreiter, mal eines in die Gegenrichtung.
Solarstrom versus Kohlekraft
Zur Vorreiter-Rolle zuerst: China investiert massiv in die Forschung – etwa zu klimafreundlicher Mobilität – und vertraut auf technologische Lösungen für die Klimakrise. Auf welche genau, dazu wird der Fünfjahresplan viel Aufschluss geben, erklärt Nis Grünberg, Analyst beim Berliner Mercator Institute for China Studies (MERICS). Ein zentraler Forschungsbereich wird etwa die Energiespeicherung – um erneuerbare Energien wie Solarstrom besser nutzbar zu machen. Bis 2024 soll China laut dem Unternehmensberater Wood Mackenzie mehr als doppelt so viel Energie mit Solarzellen herstellen als die USA. Und auch in den Bereichen Wind- und Wasserkraft ist China seit einigen Jahren der Musterschüler der Staatengemeinschaft.
Auch hat China bereits strikte politische Regulierungen verabschiedet, die in einzelnen Regionen den abrupten Kohleausstieg durchsetzen, um der Luftverschmutzung Herr zu werden. Effizienz und Geschwindigkeit sind die Priorität.
Doch gleichzeitig hat das Land einen ungemeinen Hunger nach riesigen Mengen an Energie – um diesen zu stillen setzt es nicht nur auf Erneuerbares. So sind innerhalb Chinas derzeit zusätzliche Kohlekraftwerke mit einer Leistung von insgesamt 148 Gigawatt in Planung – das ist fast so viel wie die gesamte derzeitige Kapazität der Kohlekraftwerke in der EU. Die Emissionen des Energiesektors des Landes haben im vergangenen Jahr einen neuen Höhepunkt erreicht und machen mehr als die Hälfte des Anstiegs der globalen CO2-Ausstöße aus, so die Internationale Energieagentur.
Und auch im Ausland investiert China weiter in fossile Brennstoffe – mehr als ein Viertel aller weltweit derzeit geplanten Kohlekraftwerke werden von China finanziert. Gleichzeitig schrumpfen die Investitionen für erneuerbare Energien – allen voran in Wind- und Solarenergie. In der ersten Hälfte von 2019 fielen sie um fast 40 Prozent. Ein düsteres Bild, dass Hoffnungen in Chinas Rolle als Klimapionier einen ordentlichen Dämpfer verpasst.
Energiesicherheit in turbulenten Zeiten
Das bestätigt auch Zhen Sun, der stellvertretende Generaldirektor des chinesischen Umweltministeriums. Im Interview mit dem Falter, erklärt der Politiker, China sei besorgt über seine Energiesicherheit – anfänglich spricht er leise und zurückhaltend, nach einer Zeit immer deutlicher. Erdgas habe man kaum, Kohle dafür viel. Um in Sachen Energie auf eigenen Beinen zu stehen, wolle man nicht auf Kohlekraft verzichten.
Er sitzt neben dem China-Pavillon in einer der Messehallen. Delegierte verschiedener Länder, Journalisten, NGO-Mitarbeiter und andere Beobachter tummeln sich durch die Gänge. Der Pressekoordinator der chinesischen Delegation weicht nicht von seiner Seite, knipst Fotos von dem Interview.
“Wir wünschten, wir könnten einen Sprung machen und uns von fossilen Brennstoffen verabschieden. Aber dafür brauchen wir, so wie viele weniger entwickelte Länder, mehr finanzielle Unterstützung. Die Industriestaaten geben viel zu wenig”, sagt er.
Dazu hat sein Land gemeinsam mit Brasilien, Südafrika und Indien kürzlich die Mitteilung veröffentlicht: Sie hätten bereits eine Klimapolitik festgelegt, “die ihre höchst möglichen Ambitionen widerspiegelt – diese Anstrengungen übersteigen bereits jetzt unsere historische Verantwortung deutlich.”
China setzt sich mit großem Gewicht für das Recht auf Verschmutzung von Schwellen- und Entwicklungsländern ein. Diese müssten schließlich erst aufholen. Die großen Industrienationen hingegen hätten ihr Pensum an Emissionen bereits erreicht und ihren Wohlstand auf dem Rücken anderer erarbeitet, so das Argument.
Der Widerspruch zwischen Chinas Position als Vorreiter im Bereich erneuerbare Energien und jener, als Verschmutzer ist beim genaueren Hinsehen sehr einfach aufzulösen: Klimaschutz ist solange Programm, solange er mit Wirtschaftswachstum vereinbar ist. Weit ist man davon entfernt davon, Klimaschutz als kategorischen Imperativ der Umwelt-Ethik zu definieren („Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erde“, Hans Jonas). Das ist beim Testlauf in Madrid überdeutlich geworden. Reformen, die unpopulär sind, werden nicht durchgesetzt – nicht von demokratisch gewählten Regierungen, die um ihre Wiederwahl zittern. Nicht von der chinesischen kommunistischen Partei, die soziale Stabilität als höchstes Ziel formuliert, erklärt China-Experte Grünberg. Wirtschaftswachstum gelte als Fundament für diese Stabilität.
September-Gipfel
Das will die EU so nicht gelten lassen. “China hat eine Schlüsselrolle beim Verfassen des Pariser Abkommens gespielt. Das kommt mit Verantwortung, das Abkommen auch umzusetzen”, so der Vize-Präsident der EU-Kommission Frans Timmermans. Man gehe durch schwierige Zeiten in internationalen Beziehungen – das mache es China nicht einfach, sich höhere Ziele zu stecken, fügt er hinzu. Doch mit dem Green New Deal wolle die EU eine neue Wachstumsstrategie vorstellen, die auch in China ähnliche Entscheidungen anstoßen könne, so der niederländische EU-Politiker.
Ein Höhepunkt in der Zusammenarbeit zwischen China und der EU steht im September an: Dann lädt die deutsche Ratspräsidentschaft zum großen EU-China-Gipfel in Leipzig. Hier geht es zwar um alle möglichen geopolitischen Themen. Doch auch die Klimapolitik werde ganz oben auf der Tagesordnung stehen, bestätigt Sun vom Umweltministerium. Ein Spaziergang dürfte das jedoch nicht werden – unter anderem wegen dem umstrittenen Vorschlag der EU-Kommission zu einem Klimazoll auf CO2. Als Teil des Green New Deals soll dieser dafür sorgen, dass europäische Unternehmen trotz strenger Regulierungen konkurrenzfähig bleiben. China, das seine Exporte nach Europa gefährdet sieht, hält eine solche Steuer für “sehr schädlich” und würde mehr Gewicht auf die Schultern ärmerer Staaten hieven, so Zhen Sun.
Ambitioniertere Neujahrsvorsätze
Ein Hoffnungsschimmer bleibt, dass das Land über seine Klimaziele hinausschießen wird, sagt Li Shuo von Greenpeace China. “China neigt dazu, keine großen Versprechungen zu machen, sondern seine Ziele lieber zu überholen”, fügt er hinzu. Andere Länder, etwa die EU, würden großen Ankündigungen machen, diese Ziele dann aber oft verfehlen. Dieser Zugang – und damit auch die Neudefinition seiner nationalen Klimaziele – sei China fremd. Genau das ist es aber, worum es 2020 vorrangig gehen wird.
Thema Nummer eins müsse dabei der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen werden, so die Klimadiplomatin Tubiana – das sei in Madrid komplett ausgeklammert worden. “Auf der UN-Konferenz in Glasgow im November muss es dazu einen deutlichen Beschluss geben”, sagt sie. Im Fall von Kohlekraftwerken, die aktuell gebaut werden, dürfte es allerdings wenig realistisch sein, dass diese schon in zehn Jahren eingestellt werden.
Ein Signal für 2020 – das war das wichtigste Ziel der COP25. Jetzt, nach der Konferenz, wird das große “Now” aus Pappkarton aus den Messehallen hinausgetragen, wichtige Entscheidungen werden auf 2020 vertagt. Viele kleinteilige Streitigkeiten, wenig Einigkeit zwischen den Staaten. Es dürfte kein einfaches Jahr werden, dass da auf die Klimapolitik zukommt.