Nach dem Beben
7:1! Sete a um! Wie ein Orkan fegt DFB-Elf 2014 über die Selecao. Bis heute haben sich die Brasilianer nicht davon erholt. Eine Reise durch ein traumatisiertes Land
von Bartholomäus von Laffert
Das Tor für Deutschland ist dunkelgold, schaumig und kommt in einem 0,33-Liter-Plastikbierbecher. „Und, wie schmeckt’s?“, fragt der Mann. Er steht in einer zur Brauerei um-funktionierten Lagerhalle am Stadtrand von Belo Horizonte. Inmitten eines Dutzends glucksender Biersilos, die auf ihn herunterglotzen wie silberglänzende Orks. Ein Mann Mitte 40, Zehn-Tage-Bart, die dunkelbraune Schiebermütze ins Gesicht gezogen, den Kopf zur Seite gelegt, der, ungeduldig auf eine Antwort wartend, mit den Füßen tippelt. „Bitter“, sagt der Reporter schließlich. „Bitter! So soll es sein!“, ruft der Mann, der Renato heißt. Grinst zufrieden, ein matt-gelbes Kettenrauchergrinsen. Bitter, genau wie die Niederlage!
Zwanzig Minuten sind es von hier mit dem Auto bis nach Mineirao, dem größten Fußballstadion im Bundesstaat Minas Gerais. Dreieinhalb Jahre bis Mi-neiraço. Der Schande von Belo Horizonte. Deutschland gegen Brasilien. Sieben zu eins. Renato hat sie zu einem Bier verarbeitet und es Gol da Alemanha ge-nannt: 7,1 Prozent Alkohol, 71 IBU Bit-terkeit, sieben Zutaten aus Deutschland – das Wasser kommt aus Brasilien. In einem Café in Rio de Janeiros Nobelstadtteil Leblon sitzt ein Manns-bild von Kerl vor einem Teller Curry-Tofu und ringt mit den Tränen. Die graue Dauerwelle klebt nass an den Schläfen, das elfenbeinweiße Tom-Cruise-Grinsen ist verwischt wie das einer Wachsfigur unterm Bunsenbrenner. Das Display am Straßenstand zeigt: 16.07 Uhr. 37 Grad.
„Niemand wird jemals vergessen. Wir sind für immer gebrandmarkt.“ Sagt Rodrigo Paiva. Der muss es wissen, 13 Jahre war er Pressesprecher der brasilianischen Nationalmannschaft.