Steuergeschenk für Milliardäre

Wie sich das grösste Schifffahrtsunternehmen der Welt mit Ueli Maurers Finanzdepartement ein Steuergeschenk bastelte. Und wie die Behörden dabei schwerste Bedenken ignorierten.

Von Anina Ritscher

erschienen am 17. Februar 2024, Reflekt

Am 2. Oktober 2019 erreicht eine dringliche E-Mail die eidgenössische Steuerverwaltung in Bern. Betreff: Tonnage Tax. Absender: die Schweizer Mediterranean Shipping Company (MSC), das grösste Schifffahrtsunternehmen der Welt.

Man frage sich, warum der Bundesrat die Konsultationen zur neuen Tonnagesteuer noch immer nicht gestartet habe, schreibt ein MSC-Mitarbeiter. «Diese Verspätung schafft einige Unsicherheiten für die MSC-Gruppe.» Und das zu einer Zeit, in der man über den Standort von «Investmentprojekten im Kreuzfahrt-Bereich» entscheiden müsse. 

Der Konzern mit Sitz in Genf lässt gegenüber der Steuerbehörde die Muskeln spielen. Er möchte, dass die Schweiz ein neues Steuergesetz für Reeder einführt. Dieses soll Schifffahrtsunternehmen nicht nach Gewinn besteuern, sondern pauschal nach der Anzahl Tonnen, die ein Schiff transportieren kann.

In guten Geschäftsjahren könnte MSC so mutmasslich Millionen Franken Steuern sparen. Das Familienunternehmen kontrolliert eine gigantische Flotte an Transport- und Kreuzfahrtschiffen, Hafenterminals rund um den Globus sowie eine private Insel auf den Bahamas. In den Corona-Jahren erzielte der Konzern Rekordgewinne im zweistelligen Milliardenbereich. Die Besitzer Gianluigi und Rafaela Aponte zählen seither zu den reichsten Personen der Schweiz.

Weil das Unternehmen keine Geschäftszahlen publiziert, lässt sich nicht berechnen, wie viel Steuern MSC mit dem neuen Gesetz sparen könnte. Doch der Blick nach Deutschland zeigt: Die riesige Reederei Hapag Lloyd versteuerte dank der Tonnagesteuer in manchen Jahren weniger als ein Prozent ihres Milliarden-Gewinns. Dem Staat entging so viel Geld, dass selbst der CEO zugab: «Diese Regelung ist nicht in Ordnung und auch nicht nachhaltig.» 

Vieles spricht gegen die Einführung der Tonnage-Steuer in der Schweiz.  Laut Bundesamt für Justiz verletzt die Bevorzugung einer einzelnen Branche die Verfassung. Niemand weiss, was eine Tonnagesteuer die Staatskassen kosten würde.  Zudem könnten auch hochprofitable Rohstoffhändler wie Glencore profitieren, wenn sie Schiffe chartern. Angesichts dieser Punkte bezeichnete selbst die unternehmerfreundliche NZZ die Tonnagesteuer als «kurios» und «skurril».  

Trotzdem: Zweieinhalb Jahre nach der E-Mail von MSC an die eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) legt der Bundesrat dem Parlament ein Gesetz vor, das selbst die wildesten Träume der Reedereien wahr werden lässt. Wie konnte das passieren? 

REFLEKT hat mit zahlreichen Fachleuten gesprochen und mithilfe des Öffentlichkeitsgesetzes hunderte Seiten interner Dokumente aus der Verwaltung ausgewertet. Wir zeichnen nach, wie sehr sich die Behörden bei der Ausarbeitung des Gesetzes von MSC beeinflussen liessen, welche schwerwiegenden Bedenken sie dabei ignorierten und wie auf diese Weise ein neuer politischer Player entstanden ist.

Treffen auf höchster Stufe

Ihren ersten Auftritt auf der politischen Bühne hat die Tonnagesteuer 2014. Der Genfer CVP-Nationalrat Guillaume Barazzone will das Steuergeschenk in die Unternehmenssteuerreform III einbauen. Drei Jahre später wird der Politiker in der Kritik stehen, weil er mit dem MSC-CEO Diego Aponte in Abu Dhabi unterwegs ist.

Der Verband der Schweizer Rohstoffhändler und Reedereien STSA (heute Suissenégoce), bei dem damals auch MSC Mitglied ist, treibt die Tonnagesteuer in dieser Zeit politisch voran. Schon früh stösst sie auf Widerstand.

Der Bundesrat gibt ein Rechtsgutachten in Auftrag, das 2016 veröffentlicht wird. Dessen Urteil ist vernichtend: Ein solches Steuerprivileg für einen einzigen Wirtschaftszweig sei verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Es verletze das Prinzip, dass Unternehmen nach Gewinn besteuert werden, und benachteilige andere Unternehmen.

Der Bundesrat gibt ein zweites Rechtsgutachten in Auftrag: dieses Mal beim Genfer Rechtsprofessor Xavier Oberson. Der war zuvor Teil einer STSA-Arbeitsgruppe mit dem ausdrücklichen Ziel, eine Tonnagesteuer in der Schweiz einzuführen. Obersons Gutachten befindet: Die Tonnagesteuer verstosse nicht gegen die Verfassung.

Trotz dieser Wendung streicht das Parlament das Gesetz wegen zu vieler Unklarheiten aus der Unternehmenssteuerreform III. Der Bundesrat soll es vertieft prüfen. Das Steuergeschenk ist vorerst gestoppt, aber nicht vergessen.

In den folgenden Jahren lehnt die Bevölkerung die Unternehmenssteuerreform ab, stattdessen nimmt sie im Mai 2019 ein anderes Steuergesetz an, das mehrere Steuerprivilegien für Unternehmen abschafft. Höchste Zeit für die Schifffahrt, um sich ein neues, massgeschneidertes Steuerschlupfloch zu suchen.

Am 2. Oktober 2019 landet die anfangs erwähnte E-Mail von MSC im Postfach der eidgenössischen Steuerverwaltung. Wie interne Korrespondenzen zeigen, nimmt die Ausarbeitung des Gesetzes jetzt Fahrt auf. Nur wenige Wochen nach der Intervention treffen sich Steuerverwaltung und MSC. Zum Inhalt dieser Sitzung haben die Behörden keine Dokumente angelegt.

Im April 2020 bricht die Coronapandemie aus und die Ausarbeitung der Tonnagesteuer stockt erneut. Abermals wendet sich MSC hilfesuchend an die Behörden: dieses Mal, um einen Covid-Hilfskredit zu beantragen.

Als dieser vom eidgenössischen Finanzdepartement abgelehnt wird, platziert MSC das Anliegen ganz oben. Die Genfer Finanzdirektorin Nathalie Fontanet meldet sich noch im April bei Ueli Maurer, damals SVP-Bundesrat und Vorstehender des Departements und schreibt: «Die Leiter des Unternehmens bitten um ein Gespräch, um ihre Situation darzulegen.» Sie ersuche darum, dieses Gespräch zu gewähren, da es für MSC wichtig sei, «gehört zu werden». Maurer lädt den MSC-Besitzer Gianluigi Aponte und seine Tochter daraufhin ins Bundeshaus ein, um die Sache zu klären.

Das Finanzdepartement versicherte REFLEKT, die Tonnagesteuer sei beim Treffen zwischen Maurer und den Apontes kein Thema gewesen. Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz konnten wir den E-Mail-Verkehr einsehen, der dem Treffen vorausging. Dieser deutet auf etwas anderes hin. 

Fünf Tage vor dem Treffen zwischen dem Ehepaar Aponte und Ueli Maurer schreibt ein Mitglied aus Ueli Maurers Team eine E-Mail an die Steuerverwaltung: «Es ist aber nicht auszuschliessen, dass am Rande auch Steuerthemen zur Sprache kommen werden. Daher möchten wir die ESTV bitten, ebenfalls eine Vertretung vorzusehen.» Der Mitarbeiter der Steuerverwaltung, der für die Tonnagesteuer zuständig ist, bestätigt seine Teilnahme. Zum Treffen selbst gibt es keine Unterlagen.

Der Mail-Austausch zeigt: Kurz nach dem Rendez-vous auf höchster Ebene beschleunigt die Steuerverwaltung die Arbeit am Tonnagegesetz. Das Dossier sei irgendwann «von einem ungeliebten Kind zum Projekt von Ueli Maurer» geworden, sagt ein Kenner der Geschäfts gegenüber REFLEKT. 

In derselben Zeit stellt sich MSC politisch neu auf, wie drei Ereignisse in dieser Zeit nahelegen.

Erstens wechselt das Unternehmen den Verband. Gemeinsam mit der kleinen Reederei Suisse Atlantique tritt es aus dem gut vernetzten Branchenverband STSA aus und dem kaum bekannten Reederverband Swiss Shipowners Association bei. Olivier Straub, Lobbyist und Steuerexperte bei MSC, wird dort neuer Generalsekretär.

Zweitens entdeckt dieser Reederverband die Schweizer Politik. Bis zu diesem Zeitpunkt sind weder MSC noch die Swiss Shipowners Association für Lobbying in Bern bekannt. Jetzt veröffentlicht der Verband eine Wunschliste der Schweizer Schifffahrt für die Politik. Einige dieser Wünsche tauchen später Wort für Wort im Gesetzesentwurf zur Tonnagesteuer auf.

Drittens kommuniziert die Steuerverwaltung offiziell von nun an nicht mehr mit einem MSC-Mitarbeiter, sondern mit dem Reederverband. Doch: Die E-Mails, die REFLEKT vorliegen, belegen, dass die offizielle Mailadresse des Reederverbands vom MSC-Lobbyisten Oliver Straub genutzt wurde. Ein Brancheninsider sagt gegenüber REFLEKT: Das Unternehmen habe den Verband «gekapert».  

Ab Dezember 2020 tauscht sich die Steuerverwaltung während Wochen intensiv mit dem Reederverband über die genaue Ausgestaltung der Tonnagesteuer aus. Das Parlament hat vor Jahren verlangt, dass der Bundesrat einen Vorschlag dafür ausarbeiten soll. Besonders oft geht es in der Korrespondenz um ein zentrales Element des Gesetzes: das Flaggenerfordernis.

Wenn ein Unternehmen in der EU die Tonnagesteuer beantragen will, muss es seine Schiffe unter einer EU-Flagge registrieren. Das heisst, dass die Schiffe den Gesetzen des jeweiligen Staats unterstehen – so muss das Unternehmen etwa einen Gesamtarbeitsvertrag für die Crew einhalten und mit Gewerkschaften verhandeln. Der Deal dabei: tiefere Steuern für den Firmensitz in Europa gegen eine strengere Regulierung der Arbeit an Bord auf hoher See.

Zu dieser Zeit ist klar, dass die Tonnagesteuer auch in der Schweiz an ein Flaggenerfordernis gekoppelt sein muss. So verlangt es das Parlament. Auch die Seefahrergewerkschaft Nautilus unterstützt die Tonnagesteuer nur unter dieser Bedingung. Bei der Gestaltung gibt es allerdings viel Spielraum. In Zypern etwa muss ein Unternehmen nur ein einziges Schiff unter zypriotischer Flagge führen, damit es die Tonnagesteuer beantragen kann. In Portugal müssen hingegen mindestens 60 Prozent der Flotte unter EU/EWR-Flagge fahren.

Gewerkschaften, Linke und Grüne unterstützen ein strenges Flaggenerfordernis, die Reedereien wollen möglichst freie Hand bei der Flaggenwahl. Ein Grossteil der MSC-Schiffe ist in Liberia oder Panama registriert – kein einziges fährt unter Schweizer Flagge. Das führt dazu, dass sich der Konzern nicht an europäische Arbeitsrechte halten muss. 

Am 24. Februar 2021 schliesslich schickt die ESTV einen Gesetzesentwurf in die Vernehmlassung. Eine Klausel verlangt, dass ein Unternehmen seine Flotte zu 60 Prozent unter Schweizer- oder EU-Flagge fahren lassen muss, damit es die Tonnagesteuer beantragen kann. Im EU-Vergleich ist das ein eher strenges Flaggenerfordernis. Zahlreiche Wirtschaftsverbände und Unternehmen kritisieren die Bedingung, darunter auch der Reederverband und MSC selbst.

Verwaltung und Verband

Doch bevor die Steuerverwaltung diesen Konflikt ausbaden muss, erledigt sich das Problem von selbst. Das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO bringt das Flaggenerfordernis noch während des Vernehmlassungsverfahrens ins Wanken, und zwar mit einem rechtlichen Argument: Die Schweiz dürfe EU-Staaten laut Dienstleistungsabkommen GATS der Welthandelsorganisation (WTO) nicht gegenüber anderen Ländern bevorteilen. Ein EU-Flaggenerfordernis sei nicht rechtens.

«Es ist im Sinne des Handelsrechts, die Steuer nicht an einen Flaggenstaat zu knüpfen», bestätigt die Völkerrechtlerin Krista Nadakavukaren Schefer. Die Steuer sollte aber mit inhaltlichen Kriterien verbunden werden. So könnten Reeder etwa angehalten werden, sich an arbeitsrechtliche oder ökologische Standards zu halten, die in der EU gelten.

Dennoch verhindert der Reederverband genau das.

Während Wochen brüten Steuerverwaltung und Verband gemeinsam darüber, wie sie das Flaggenerfordernis möglichst vorteilhaft gestalten könnten, ohne die gesetzlichen Vorgaben zu verletzen. Sie wägen zwischen Vor- und Nachteilen der verschiedenen europäischen Varianten ab. Zypriotisches oder niederländisches Modell – welches ist attraktiver? Wo ist das Flaggenerfordernis flexibler gestaltet?

Die Steuerverwaltung steht in dieser Zeit auch mit der Gewerkschaft Nautilus in Kontakt, die ein strenges Flaggenerfordernis will. Allerdings ist dieser Austausch deutlich weniger eng und geht weniger ins Detail.

«Alle flaggenbezogenen Bedingungen einfach zu streichen, scheint unter den bestehenden Bedingungen der beruhigendste Ansatz zu sein», schreibt die Steuerverwaltung im Januar 2022 an den Reederverband. Zuvor präsentiert sie ihm drei Vorschläge, um das Flaggenerfordernis zu retten. Der Verband schlägt alle in den Wind.  

Vorschlag 1: Man könne die Steuer auf den Transport beschränken und Dienstleistungen an Bord, etwa Wellness und Shopping, davon ausklammern. So könnte das EU-Flaggenerfordernis gerettet werden.

Nein, findet der Verband. Er schreibt: Die Begrenzung «nimmt dieser Steuerregelung im Vergleich zu anderen Ländern einen gewissen Reiz.»

Vorschlag 2: Man könne das Flaggenerfordernis ausschliesslich an die Schweizer Flagge knüpfen.

Nein, findet der Verband. Das sei zu restriktiv.

Vorschlag 3: Man könne das Flaggenerfordernis an internationale Abkommen im Arbeitsrecht knüpfen. Etwa eines, um das Recht auf Kollektivverhandlungen zu sichern oder eines, das Zwangsarbeit verbietet.

Nein, findet der Verband und schreibt, man müsse «leider mitteilen», dass der Sektor diesen Vorschlag «nicht akzeptieren kann». Die erwähnten Abkommen seien von diversen wichtigen Flaggenstaaten nicht ratifiziert – darunter Liberia und die Marshallinseln, also diejenigen Flaggen, die besonders schlechte Arbeitsstandards kennen – und bei MSC beliebt sind.

Schliesslich kapituliert die Steuerverwaltung und folgt dem Vorschlag des Verbands: Wer die Tonnagesteuer beantragen will, muss nur sicherstellen, dass das betroffene Schiff unter einer Flagge fährt, deren Land die vier wichtigsten Seeverkehrsübereinkommen ratifiziert hat. Darunter auch ein Abkommen, das Mindeststandards im Arbeitsrecht festlegt.

Es ist die minimale Form eines Flaggenerfordernisses und kaum mehr als eine Formsache, denn unter diese Bedingung fallen so gut wie alle Staaten, die über eine Flagge verfügen – auch Liberia, Panama und die Marshallinseln. Auch deswegen lehnte die Gewerkschaft Nautilus das Gesetz in dieser Form ab.

Viele Argumente, aber keine verfassungsrechtlichen

Die Hürde Flaggenerfordernis ist genommen. Es bleibt das Problem der Verfassungskonformität. Oder wie es der Mitarbeiter der Steuerverwaltung gegenüber dem Reederverband formuliert: «Das Bundesamt für Justiz bleibt Gegner Nr. 1 des Projekts.»

Tatsächlich äussert sich das Bundesamt in der Ämterkonsultation äusserst kritisch. Man sei mit der Vorlage nicht einverstanden, da eine Sonderbehandlung der Schifffahrt die Verfassung verletze: «Die Einführung einer Tonnagebesteuerung bedürfte einer Verfassungsänderung.»

Die Steuerverwaltung ignoriert die Bedenken und schreibt in die finale Botschaft zum Gesetz, die der Bundesrat dem Parlament vorlegen soll: «Aus verfassungsrechtlicher Sicht gibt es Argumente für und gegen die Einführung einer Tonnagesteuer.» Dies, obwohl das Bundesamt für Justiz unmissverständlich festgehalten hat: «Für die Steuer gibt es viele Argumente, aber keine verfassungsrechtlichen. Das sollte man den Bundesrat nicht sagen lassen.»

Auch andere Departemente stehen dem Gesetz kritisch gegenüber. Doch der Steuerverwaltung gelingt es, «eine hauchdünne Mehrheit im Bundesrat zu gewinnen», wie ein Mitarbeiter an den Reederverband schreibt.  

Die Steuerverwaltung weist auf Anfrage den Vorwurf zurück, dass sie ein Gesetz mit und für MSC ausgearbeitet habe. Bezüglich der Verfassungskonformität habe der Bundesrat gestützt auf die beiden sich widersprechenden Rechtsgutachten eine Abwägung vorgenommen. Mit Blick auf die «wirtschaftspolitischen Interessen der Schweiz» erscheine ihm die Tonnagesteuer als «vertretbar.»

MSC geht auf Anfrage nicht auf die Gründe für ihr politisches Engagement ein: «Wir finden nicht, dass MSC die Fragen beantworten soll». Man solle diese stattdessen dem Reederverband stellen. Dieser schreibt auf die Frage nach der Rolle von MSC nur: Die Einführung der Tonnagesteuer sei für alle Mitglieder des Verbands ein wichtiges Ziel. Eine Liste dieser Mitglieder veröffentlicht er nicht.

So wird die Botschaft zum Gesetz am 5. Mai 2022 verabschiedet: ohne nennenswertes Flaggenerfordernis, das die Schweizer Flotte stärken könnte. Ohne Angaben zu den finanziellen Auswirkungen des Gesetzes. Ohne auf die schweren Bedenken des Bundesamts für Justiz einzugehen.

Der Nationalrat sagt im Dezember 2022 mit 99 zu 85 Stimmen Ja zum neuen Gesetz. Eine Änderung nimmt er noch vor: Auch die Kreuzfahrt soll explizit als Begünstigte des Gesetzes erwähnt werden. Er macht dem Kreuzfahrtriesen MSC damit ein letztes Geschenk. 

Scheitert das Gesetz am Ständerat?

Jetzt muss die Tonnagesteuer noch eine Hürde nehmen: den Ständerat.  Hier stösst sie auf mehr Gegenwind. Die vorberatende Wirtschaftskommission kritisiert etwa, dass auch Rohstofffirmen profitieren könnten. Zudem tauchen Fragen zum fehlenden Flaggenerfordernis, den finanziellen Folgen des Gesetzes sowie dessen Verfassungsmässigkeit auf. Deshalb fordert die Kommission 2023 gleich zweimal zusätzliche Abklärungen von der Steuerverwaltung.

Der Reederverband reagiert auf die Kritik, indem er im September 2023 gemeinsam mit der Gewerkschaft Nautilus ein Statement publiziert. Darin steht: Man sei sich einig, dass die Tonnagesteuer an die Schweizer Flagge geknüpft werden sollte. Wie diese Verknüpfung aussehen soll, bleibt offen.

In einer E-Mail an die Steuerverwaltung fordert der Reederverband zudem, dass nur vom Gesetz profitieren solle, wer einen Mindestprozentsatz der eigenen Flotte besitzt. So könnten die umstrittenen Rohstoffhändler, die ihre Schiffe oft nur chartern, von der Steuererleichterung ausgeschlossen werden. Das würde einen zentralen Kritikpunkt entschärfen und die Tonnagesteuer noch besser auf die Bedürfnisse von MSC zuschneiden.

Am kommenden Montag berät die Wirtschaftskommission das Geschäft voraussichtlich ein letztes Mal, bevor es zur Abstimmung in den Ständerat kommt. Schon jetzt ist klar: Die Unterstützung auf höchster Ebene hat das Steuergeschenk verloren. Ende 2022 trat Ueli Maurer als Finanzminister zurück. Seine Nachfolgerin ist Karin Keller-Sutter, ehemalige Chefin des Bundesamtes für Justiz. Oder wie es die Steuerverwaltung ausdrückte: «Gegner Nr. 1 des Projekts».

Foto: Florian Spring, Collage